Herzstück des Systems ist ein hochpräzises Tachymeter. Damit können die THWler schleichende Veränderungen labiler oder angeschlagener Bauteile an Einsatzstellen in Echtzeit erkennen und im Bedarfsfall bedrohte Einsatzkräfte vor sich anbahnenden Gefahren warnen. So lassen sich einerseits die Sicherheit der Helfer im Gefahrenbereich erhöhen und andererseits oft bisher unerkannte äußere Einflussfaktoren entlarven.
Bereits im Jahr 2004 wurden Idee und Grundkonzept von zwei findigen THW-Tüftlern - Christoph Rühl (THW Remscheid) und Dr. Thomas Wellenhofer (THW Berchtesgadener Land) - ausgearbeitet und der THW-Leitung vorgelegt. Das Konzept fand Zustimmung und so erfolgte der operative Start der Pilotphase in beiden Ortsverbänden am 01.Januar des Jahres 2006. Schon einen Tag später fand beim tragischen Einsturz der Reichenhaller Eislaufhalle mit 15 Todesopfern die Feuertaufe des ESS statt, wo es erfolgreich zum Schutz der Einsatzkräfte eingesetzt werden konnte. Etliche weitere Einsätze folgten im Katastrophenwinter 2006. Auch in den Folgejahren konnte das System bundesweit zwischen Maria Gern im BGL und Pasewalk in Brandenburg mehrere Dutzend Male seine Eignung unter Beweis stellen, sei es bei Gasexplosionen, nach Bränden oder auch bei Murenabgängen oder Tiefbauunfällen wie dem Einsturz des Kölner Stadtarchives.
Die erfolgreichen Einsätze zogen hohes Interesse im gesamten Katastrophenschutz nach sich. Und so war das ESS unter anderem auch Teil eines europäischen Forschungsprojekts in den Jahren 2010-2012, in welchem wiederum die Sinnhaftigkeit von theoretischem Ansatz und gerätetechnischer Ausgestaltung überprüft und fundiert bestätigt werden konnte.
Die Grundproblematik des neuen Systems, dass Messungen in dieser Weise noch nie vorher durchgeführt wurden und damit zu Beginn auch kein fundiertes Wissen zur Interpretation der Messergebnisse vorlag, wurde mit Hilfe der geschilderten Einsatzerfahrungen und jahrelangen Testläufe und gekoppelt mit einer Vielzahl theoretischer Überlegungen durch die Bergungsexperten aus den Ortsverbänden Berchtesgadener Land und Remscheid bearbeitet. Auch auf universitärer Ebene gab es intensiven Austausch. Daneben kam der Umstand, dass in beiden Ortsverbänden auch Vermessungsbeamte aktiv sind, der professionellen Aufarbeitung der Fragestellungen zugute.
Jetzt wird das ESS als THW-System an vorerst 15 Standorten bundesweit stationiert. Die in fünf Staffeln aufgeteilte Einweisung erfolgt wiederum durch die Experten aus Remscheid und dem Berchtesgadener Land unter der Regie von Wellenhofer und Rühl. Der erste Termin fand am vergangenen Wochenende im Logistikzentrum des THW im nordrheinwestfälischen Heiligenhaus und in Remscheid statt. Dort wurden die Ortsverbände Beckum (Nordrheinwestfalen), Quedlinburg (Brandenburg) und die Bergungseinheit des THW für Auslandseinsätze SEEBA unterwiesen.
Neben einer technischen Einweisung durch den Gerätelieferanten standen Einführungen in die bautheoretischen Hintergründe, einsatztaktische Überlegungen sowie Möglichkeiten und Grenzen auf dem Programm. Danach schloss sich ein praktischer Teil an, in dem Verlaufsmessungen mittels einer beweglichen Modellwand beübt wurden. Die Baufachberater und langjährigen Mitglieder des Erprobungsteams Harald Wieberger (BGL) und Thomas Schochow (Remscheid) gaben zudem noch einen Überblick über Bauteilverhalten im Einsatz und die Interpretation von Bewegungsmustern anhand von Beispielen aus Realeinsätzen.
Der Grundtenor der Veranstaltung wurde wohl am treffendsten von Lars Deuter, Ortsbeauftragter THW Quedlinburg (ehemaliger Landessprecher des THW Berlin/Brandenburg und selbstständiger Vermessungsingenieur) beschrieben: Ein extrem sinnvolles und zukunftsweisendes Konzept! Ein riesen Lob an die Entwickler aus Remscheid und Berchtesgaden; das ist das erste Mal in meiner langen Karriere beim THW, das etwas so Durchdachtes und in sich Stimmiges eingeführt wird und dann noch mit allem nötigen und sinnvollen Zubehör als Gesamtpaket. Ich bin mächtig beeindruckt.“
Neben dem EGS (Einsatz-Gerüst-System) und dem System Ankerstab ist das ESS nun das dritte Ausstattungskonzept, das aus der Feder von Rühl und Wellenhofer stammt, in den Ortsverbänden Berchtesgadener Land und Remscheid perfektioniert wurde und mittlerweile bundesweit eingeführt ist. Daneben haben die beiden kreativen Experten eine Vielzahl an einsatztaktischen Lösungen im Bereich Bergung etabliert, denen allen zu eigen ist, dass der Einsatz bei Gebäudeschäden sicherer, erfolgreicher und einfacher wird (beispielsweise die Sicherungstechniken der Inneren Verspannung, der Korsettierung, die vier Säulen der Rettung usw.).
Neben weiteren laufenden Projekten sind sie daher auch Mitglieder der bundesweiten Facharbeitsgemeinschaft Bergung im THW, wo sie ihre Kompetenz zur Weiterentwicklung des THW seit Jahren engagiert einbringen.